Zyklusbewusstsein
Zyklusbewusstsein dient allen Menschen
Die Natur ist zyklisch. Und wir alle sind eingebunden in diese natürlichen Zyklen, wie sie sich z.B. in unseren Breitengraden in den vier sich wechselnden Jahreszeiten mit ihren Qualitäten und Bedingungen offenbaren. Auch wenn diese unser Leben seit der Elektrizität und den globalen Märkten auf den ersten Blick immer weniger direkt beeinflussen mögen, zeigen sie uns doch ganz offensichtlich, dass ein Zyklus immer verschiedene Phasen umfasst. Die Jahreszeiten, wie auch die Mondphasen folgen ihrem natürlichen Rhythmus und Wechselspiel. Phasen des Entstehens und Wachsens wechseln sich ab mit Phasen des Loslassens und Vergehens. Auf- und Abbau, viel und wenig, Bewegung nach aussen und Bewegung nach innen, Verteilen und Bewahren, Geben und Zurücknehmen sind immer Teil des natürlichen Ganzen.
Unsere Ansprüche sind oft linear und gleichbleibend (hoch)
Wenn ich mich umschaue, dann sehe ich so viele Ansprüche, die wir und/oder unsere Welt an uns stellen, die oft linear und gleichbleibend (hoch) sind. Rund um die Uhr Tempo, Hochleistung und Hochbetrieb, im Beruf, wie auch in Familie und Freizeit. Dahinter verbergen sich oft auch Glaubenssätze, wie: Nur wer viel tut, erhält auch viel. Oder: Ich bin erst wertvoll, wenn ich viel leiste. Oder auch das Tun als Ablenkung und Vermeidung sich selbst überhaupt zu fühlen. Wohin das führen kann, wissen wir eigentlich alle: Erschöpfung, Stresssymptome, Burnout-Themen. Das Gefühl, nur noch zu funktionieren. Anspannung und Druck auf verschiedenen Ebenen.
Es ist normal und natürlich nicht immer viel Energie zu haben
Anzuerkennen, dass es völlig normal und natürlich ist, nicht immer viel Energie zu haben (und haben zu wollen!) ist für mich ein immens wichtiger Punkt im Thema Zyklusbewusstsein, Gesundheit und Selbstfürsorge. Wenn wir allen Phasen ihren Raum und Wert eingestehen und den natürlichen Rhythmus zwischen den Polen wieder folgen lernen, finden wir vielleicht nicht nur einen „ressourcenschonenden“ Umgang mit uns selbst, sondern auch einen bewahrenden Umgang mit der Erde und ihren Ressourcen.
Wir Frauen sind nochmals stärker ins Zyklische eingebunden
Durch unsere monatliche Menstruation und auch in unseren verschiedenen Lebensphasen, wie in der Zeit der Meno- oder Postmeno-Pause oder einer Schwangerschaft sind wir Frauen nochmals viel stärker ins Zyklische eingebunden. Die Hormone einer Frau befinden sich in einem ständigen Auf und Ab und Wechsel. Unser Körper, unsere Energie und Stimmung reagieren auf diese Hormonschwankungen. Wenn wir lernen mit diesen verschiedenen Phasen zu gehen – anstatt sie zu ignorieren oder gegen sie anzukämpfen, dann können sie auch ihre in ihnen allen steckenden Qualitäten und Geschenke offenbaren. Und wir erlauben uns, das ganze Leben und uns selbst in allen Facetten anzunehmen und im Einklang mit allen Phasen zu leben.
Die inneren vier Jahreszeiten – der weibliche Menstruationszyklus
Der weibliche Menstruationszyklus wird durch verschiedene Hormone gesteuert und dauert im Durchschnitt 28 Tage, wobei er von Frau zu Frauu und auch von Monat zu Monat variiert. Tatsächlich haben nur 13% aller Frauen einen Zykluslänge von genau 28 Tagen. Es gibt Frauen, die ihren Zyklus in etwa 23 Tagen durchlaufen, bei anderen dauert er 35 Tage.
Egal wie viele Tage dein Zyklus hat, lässt er sich in vier Phasen unterteilen. Entsprechend den vier Jahreszeiten oder Mondphasen mit den jeweils unterschiedlichen Energiequalitäten. Ein Zyklus startet mit dem ersten Tag der Menstruation und endet am Tag vor der nächsten Blutung.
Menstruation / innerer Winter
Ein neuer Zyklus beginnt. Das Alte wird losgelassen und alles steht auf Anfang. Wenn die Periodenblutung startet, sind die Hormone (Östrogen, Progesteron, das follikelstimulierende und das luteinisierende Hormon) auf dem Tiefststand. Ausserdem wird die funktionelle Schicht der Gebärmutterschleimhaut abgebaut. Diese wird dann, gemeinsam mit dem Menstruationsblut, ausgeschieden. Dein Körper geht durch einen Reinigungsprozess.
Wie auch im dunklen, kalten Winter, darf diese Phase eine Zeit des Rückzugs und der Ruhe sein. Viele Frauen bevorzugen ein langsameres Tempo. Durch los-lassen - kann der Energiefluss erhalten bleiben. Das Geschenk dieser Phase ist ihre Regenerationskraft, Tiefe und Weisheit. Es ist eine Zeit, in der wir (uns) hören können. In vielen alten Kulturen galt die Menstruation als heilige Zeit, in der Frauen über erhöhte spirituelle Kräfte verfügen.
Follikelphase / innerer Frühling
Nach der Menstruation startet die Follikelphase bzw. die Aufbauphase. Allmählich steigen das follikelstimulierende Hormon und zum Eisprung hin auch das Östrogen wieder an. Die Eizellen und ihre Umhüllungen (Follikel) beginnen im Eierstock zu reifen. Die Gebärmutter bereitet sich auf eine mögliche Schwangerschaft vor.
Diese Phase steht im Zeichen des Wachstums und Aufbaus. Langsam kehrt die Energie zurück und viele Frauen fühlen sich während dieser Zeit sehr wohl in ihrem Körper. Eine Phase, die dich mit Elan, Ideen, Kreativität und vielleicht auch konzentrierter Aufnahmefähigkeit beschenken kann.
Eisprung / innerer Sommer
Nicht nur die Fruchtbarkeit, auch das Östrogenlevel ist in dieser Zeit am höchsten. Erreicht das Östrogenlevel im Blut ein bestimmtes Niveau, wird das luteinisierende Hormon ausgeschüttet, das den Eisprung (Ovulation) auslöst. Die reife Eizelle verlässt das Follikel und bewegt sich im Eileiter Richtung Gebärmutter.
Die Phase rund um den Eisprungs entspricht dem inneren Sommer. Und wie das viele von uns im Sommer kennen, ist da jede Menge Energie. Das Geschenk dieser Phase ist Überfluss, Tat- und Interaktionskraft. Pulsierendes Leben. Während dieser Phase fühlen sich viele Frauen besonders weiblich, schön und selbstbewusst.
Lutealphase / innerer Herbst
Die Lutealphase oder auch Gelbkörperphase beginnt nach dem Eisprung und endet mit der Menstruation. Dein Körper richtet sich auf das Einnisten einer befruchteten Eizelle vor. Er ist jedes Mal optimistisch und tut alles, was für eine Schwangerschaft nötig wäre. Der Follikel im Eierstock wandelt sich in einen Gelbkörper um, der jetzt kontinuierlich Progesteron produziert. Wird die Eizelle nicht befruchtet und kein Schwangerschaftshormon gebildet, erschöpft sich die Progesteronbildung im Follikel. Der Hormonspiegel fällt ab, wodurch die Periode ausgelöst wird.
Wie wir es auch im äusseren Herbst gewöhnt sind, sinkt die Energie allmählich, man beginnt sich wieder mehr nach innen zu kehren und bereitet sich auf den Winter vor. Für viele ist dies die emotionellste Zeit im weiblichen Zyklus. In dieser Phase können z.B. PMS-Symptome oder Stimmungsschwankungen, Wassereinlagerungen oder unreine Haut auftreten. Die Qualität dieser Phase hat viel mit Klarheit, Wesentliches erkennen und Ordnung schaffen, zu tun. Hier spürst du vielleicht am stärksten, wenn du über deine Ressourcen gehst, dich erschöpfst? Du bist vielleicht dünnhäutiger, kritischer oder auch kreativer?
Zyklusbewusstsein im Yoga / Beckenboden-Yoga
Das Bewusstsein für die Bedeutung des Zyklus findet erst allmählich seinen Weg in die Yogastudios. Vergessen wird oft, dass Hatha Yoga ursprünglich von Männern für Männer konzipiert wurde.
Der wichtigste Punkt im Bezug auf deine Yogapraxis während deiner Periode oder durch deinen Monatszyklus hindurch ist erstmals nicht stur einem linearen Programm zu folgen, sondern gut in dich hineinzuspüren und zu schauen, was dir wann wirklich guttut. Auch deine (Körper-)Geschichte, deine weiteren Alltags-Anforderungen, dein Stresslevel, deine seelische Befindlichkeit, etc. wirken auf deinen Zyklus. Und vielleicht nimmst du dich in den verschiedenen Phasen nochmals ganz anderes war, als ich oben beschrieben habe? Vertraue deiner Wahrnehmung und Intuition.
Für deine Yogapraxis ist das Bewusstsein wichtig, dass sowohl Stoffwechsel, Bindegewebe und Muskulatur hormonabhängig sind. Der Muskeltonus verändert sich im Verlauf des Zyklus.
In der zweiten Zyklushälfte dominiert das Hormon Progesteron, das katabol, d.h. abbauend auf unseren Stoffwechsel wirkt. Es ist schwieriger Muskeln aufzubauen. Auch das Fasziengewebe reagiert auf diese hormonelle Umstellung. Bänder und Beckenbodenmuskulatur sind weicher. Es kann dir schwerer fallen, dich zu stabilisieren oder den Beckenboden differenziert anzusteuern. Während der Menstruation wird das Hormon Relaxin vermehrt ausgeschüttet und sorgt weiter für Entspannung und Erweichung der Bänder und Gelenke im Körper. Der Beckenboden soll in dieser Zeit entlastet werden. Vorhandene Körpersymptome können sich verstärken.
Generell gilt es während der Menstruation den Energiefluss nach unten (Apana Vayu) zu unterstützen. Entspannungsübungen, Meditation. Deinem Körper, die Ruhe zu geben, die er braucht. Wenn du körperlich praktizieren möchtest, wähle eine sanfte Praxis, die deine Energie bewahrt und dir erlaubt, dich im Fluss deiner Energie zu bewegen. Was dir vielleicht auch helfen kann, Bauchkrämpfe oder Verspannungen im Rücken zu beruhigen. Klassisch heisst es keine Umkehrhaltungen. Spüre auch da, was macht es mit dir? Ich kenne einige Frauen, für die sich Umkehrhaltungen während der Periode gut und regulierend anfühlen.
Die Phase des inneren Frühlings lädt ein, deiner Bewegungsfreude zunehmend zu folgen. Dein Körper kann in dieser Phase gut mit einer dynamischen, intensiveren Praxis, vielleicht auch herausfordernderen Haltungen oder Abläufe umgehen. Das hohe Mass an Östrogen unterstützt den Muskelaufbau. Dein Stoffwechsel befindet sich in einer anabolen, d.h. aufbauenden Situation.
Dasselbe gilt in den innern Sommer hinein. Achte dabei jedoch gut, wie sich für dich dein Eisprung anfühlt? Kennst du den Mittelschmerz und hast in dieser Zeit wenig Energie? Oder fühlst du dich weiterhin fit und leistungsstark? Mit dem Eisprung verändert sich die Hormonlage und damit auch die Dehnbarkeit deiner Bänder und Gelenke. Muskeln und Gewebe sind anfälliger und das Risiko für Verletzungen steigt in der Zeit rund um den Eisprung an.
Ab dem Eisprung nimmt die Leistungsfähigkeit kontinuierlich ab. Im inneren Herbst wird es dann immer wichtiger, dich nicht auszupowern, so dass du deine Ressourcen nicht erschöpfst und deine Energie nicht ins Stagnieren kommt. Ein, zwei Tage vor der Periode ist unser Immunsystem am schwächsten.
Ich finde, es lohnt sich über eine gewisse Zeit ein Zyklustagebuch zu führen, um dich im Zyklischen und zyklisch Wiederkehrenden zu entdecken. Zusammenhänge klarer zu sehen und damit dich selbst auch in den verschiedenen Phasen annehmen und unterstützen zu können.
Literatur-Tipps und Links:
Frauenkörper, Frauenweisheit; Christiane Northrup, 2017, ZS Verlag
Das RückenHeilbuch für Frauen, Lucia Schmidt, 2022, Knaur
Yoga und Frauenzyklen, Ein Übungsratgeber, Christine Ranzinger, 2012, Schirner Verlag
quittenduft.ch
Lust auf mehr und verkörperte Praxis?